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Das literarische Übersetzen und der Berufsalltag des Literaturübersetzers   GERMANOPOLIS : Erfahrungsberichte -

Die Reihe "Erfahrungsberichte" von Germanopolis wendet sich an alle, die im Bereich Sprachen beruflich arbeiten wollen. Im Rahmen dieser Reihe berichten Sprachprofis über ihre Erfahrungen und die Besonderheiten ihres Berufes. Ziel dieser Reihe ist es, den künftigen Dolmetschern, Sprachmittlern, Translatoren, Übersetzern einen Einblick in die Praxis zu gewähren und sie somit besser für die berufliche Zukunft zu rüsten.

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Literatur übersetzen heißt: Liebe zur Literatur und Liebe zu den Sprachen, eine Literatur wahrnehmen in einer fremden Sprache, die man liebt und möglichst beherrscht, und diese Literatur in einer anderen Sprache dekonstruieren, sich in einem nicht beschreibbaren Zwischenraum bewegen und sie dann rekonstruieren in der geliebten eigenen Sprache, die man erst recht beherrschen sollte.
Hinrich Schmidt-Henkel

Das literarische Übersetzen und der Berufsalltag des Literaturübersetzers
Erfahrungsbericht
 

Das Wort Weltliteratur ist heute für viele eine Selbstverständlichkeit, aber gäbe es diesen Begriff überhaupt ohne den Literaturübersetzer? Goethe, Hugo, Shakespeare, um nur einige große Namen der Weltliteratur zu nennen, wären wahrscheinlich nur einer Sprachelite zugänglich.

Etwa die Hälfte aller belletristischen Neuerscheinungen auf dem deutschen Buchmarkt sind heute Übersetzungen. Trotzdem bleibt der Literaturübersetzer, dieser Künstler unter den Übersetzern, leider allzu oft unbeachtet.

Wer ist er denn, dieser Arbeiter im Schatten, dieser Goldschmied der Worte, der oft unterbezahlt ist?

Hinrich Schmidt-Henkel, Übersetzer so namhafter Autoren wie L.-F. Céline,
Jean Echenoz, Hervé Guibert, Albert Camus, Jon Fosse, Erik Fosnes Hansen, Henrik Ibsen, Stefano Benni, Pier Vittorio Tondelli macht uns in seinem Vortrag mit dem Berufsbild des Literarischen Übersetzers vertraut .

Das literarische Übersetzen und der Berufsalltag des Literaturübersetzers

 

Leicht gekürzte Fassung des Vortrags von Hinrich Schmidt-Henkel

Hinrich Schmidt-Henkel übersetzt seit 1987 Literatur aus dem Französischen, Italienischen und Norwegischen, im Wesentlichen Belletristik und Theaterstücke. Er hat davor Germanistik und Romanistik fürs Lehramt studiert, was aber keine Voraussetzung ist, um Literatur zu übersetzen, ebenso wenig wie das Absolvieren eines Dolmetscher- und Übersetzerstudiengangs. Im Kollegenkreis gibt es ganz unterschiedliche Hintergründe und Vorbildungen, aber philologische Studien sind verbreitet.

Wir alle haben mit übersetzter Literatur zu tun, sowohl in akademischen Berufen als auch in Medien und Verlagen, und wir alle haben als Leser mit literarischer Übersetzung zu tun.

Der Literaturübersetzer - ein verhinderter Autor?

Hinrich Schmidt-Henkel räumt mit der falschen Vorstellung auf, dass der Literaturübersetzer ein verhinderter Autor ist, wie Verlagsleute und Leser irrtümlicherweise oft annehmen. Es sind zwei grundverschiedene Metiers.

Laut Schmidt-Henkel sollte man nur selber schreiben, wenn man etwas zu sagen hat. Der Literaturübersetzer könnte schreiben, wenn er wollte, denn die Sprache dafür hat er. Aber selbst wenn der Literaturübersetzer das schriebe, was er zu sagen hat, hätte er nur eine Sprache. Ihm würde dann das fehlen, was beim Übersetzen den Raum eröffnet, der für den Literaturübersetzer so faszinierend und existentiell notwendig ist: der Kontakt zwischen zwei Sprachen und der Raum zwischen zwei Sprachen.

Literatur übersetzen heißt: Liebe zur Literatur und Liebe zu den Sprachen, eine Literatur wahrnehmen in einer fremden Sprache, die man liebt und möglichst beherrscht, und diese Literatur in einer anderen Sprache dekonstruieren, sich in einem nicht beschreibbaren Zwischenraum bewegen und sie dann rekonstruieren in der geliebten eigenen Sprache, die man erst recht beherrschen sollte.

Es gibt für das literarische Übersetzen eine Menge von Vergleichsbildern und Metaphern; es sei wie "mit zusammengeketteten Füßen zu tanzen" oder "im Flüssigen zu meißeln". Allen ist ein bestimmtes Paradoxon gemeinsam.

Übersetzte Literatur als Wirtschaftsfaktor

Deutschland ist der größte Markt für übersetzte Literatur in der Welt. 15% der in Deutschland erscheinenden Bücher sind Übersetzungen, davon 75% aus dem englischen oder angloamerikanischen Sprachraum, was einen potenten Teil der Volkswirtschaft ausmacht. Gewichtige Teile der Verlagsprogramme sind Übersetzungen. Häufig werden bereits die Urheber der Übersetzungen angegeben. Einzelne Verlage haben sogar begonnen, kleine Übersetzerporträts in ihre Vorschauen aufzunehmen oder auch auf der Umschlagsinnenklappe zu platzieren.

Die Verlage könnten ohne die Übersetzer nicht existieren, die literarischen Übersetzer können vom Übersetzen nicht existieren, was ein weiteres Paradoxon ist. Das heißt, der Übersetzer muss mehr und schneller, sprich: im Akkord arbeiten; es gibt Seitenhonorar. Durch die prozentuale Beteiligung an den Karten ist das Übersetzen von Theaterstücken etwas günstiger.

Kleiner geschichtlicher Abriss

Im Mittelalter war das Übersetzen eine Tätigkeit der Mönche, die ein Gelübde ablegen mussten: Armut, Keuschheit und Gehorsam. Davon ist nur die Armut geblieben. In punkto Gehorsam gehen die Auffassungen auseinander. Es gibt Verleger, die meinen, dass Verleger und Übersetzer natürliche Gegner seien.

Das Übersetzen hat sich im Laufe der Zeit eher zu einer Tätigkeit von Akademikern und auch Schriftstellern entwickelt. Es wurde allmählich bestenfalls zur Arbeit von Dilettanten. Die Übersetzungstätigkeit war lange nicht als eigener Beruf, als Haupt- bzw. Brotberuf, anerkannt, was auch wegen der geringen Bezahlung nicht möglich war. Es gab auch früher schon sogenannte Übersetzungsfabriken und Übersetzer, die neben guter Literatur unter anderem Namen für andere Verlage auf die Schnelle übersetzt haben, um existieren zu können.

Die Professionalisierung des Literaturübersetzens als Beruf hat erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stattgefunden. Erst nach dem 2. Weltkrieg hat sich der Verband der Literaturübersetzer gegründet. Er hat heute 1000 Mitglieder, davon viele produktive Mitglieder. Daneben gibt es viele Übersetzer, die bedauerlicherweise nicht Mitglied dieser einzigen Interessenvertretung der Übersetzer sind. Der Kontakt zu anderen Übersetzern ist die einzige Möglichkeit, Infos zu beschaffen und sich über Rechte und Pflichten des professionellen Geschäftsgebarens zu informieren. Der Übersetzer ist ein Kleingewerbetreibender (Buchhaltung, Steuererklärung, Rechnungslegung, Vertragsabschluss etc.).

Einige sprachphilosophische Betrachtungen

Alles Kommunizieren ist eigentlich Übersetzen. Das, was ich rede, kann nie ganz das sein, was ich meine. Alles, was ich gemeint habe, könnte ich gar nicht mit allen Nuancen in Worte fassen, und die, die es hören, hören das Gesprochene, nicht das Gemeinte, und machen daraus wieder selber ein Gemeintes. Und wie weit das Verstandene und das Gemeinte zusammentreffen oder nicht, ist keine Glücksache, aber entspricht etwa dem, was man meint, wenn es zwischen Deutschland und Österreich heißt: Das Einzige, was uns trennt, ist die gemeinsame Sprache. Das Kommunizieren und Sprechen ist generell dadurch erschwert, dass dieses Entkodieren - Dekodieren - Reentkodieren immer eine klippenreiche Fahrt ist.

In seltenen Fällen ist das Übersetzen des Originaltextes nur mit Hilfe eines Wörterbuchs gelungen. Es gibt auch Leute, die aus einer Sprache übersetzen, die sie nicht akademisch, sondern empirisch gelernt haben. Das Wichtigste ist die Kompetenz in der eigenen Sprache. Zuerst gilt es, alles zu erkennen, was im Original enthalten ist, und dann, alles hinüberzutransportieren. Manche halten es mit dem Begriff: über - setzen (wie beim Schiff). Andere sagen mit Ringelnatz: üb - ersetzen (und möglichst besser machen).

Alle Kommunikation ist Übersetzung: reden - schreiben - mitteilen. Alle Kommunikation lebt durch diesen Verschlüsselungs-, Entschlüsselungs-, Neuverschlüsselungsvorgang, und das Literaturübersetzen ist eine der komplexesten Varianten dieses Prozesses.

Übersetzungskriterien

Früher war es einfach. Da gab es im Abitur bei Übersetzungen die Kriterien "richtig" und "falsch". Später gab es keine Übersetzungen mehr.

Richtig bzw. falsch gibt es auch bei Fachübersetzungen wie Montageanleitungen, Anwaltskorrespondenz etc. Die Kriterien "richtig" und "falsch" gibt es auch bei Literaturübersetzungen, aber da kommen ästhetische Kriterien hinzu, z.B. Klang und Rhythmus, nicht nur in der Lyrik, sondern auch in der erzählenden Prosa. Die Literatur arbeitet mit vielen weichen Faktoren, nicht nur mit Lexik und Grammatik, sondern mit Assoziationsräumen und emotionalen Qualitäten, die Literatur erst zu Literatur machen, die den Literarizitätsgrad von Texten höher oder niedriger sein lassen. Bei Literaturübersetzungen müssen natürlich die richtigen Wörter dastehen, die richtige Grammatik und Syntax verwendet werden, aber gerade die deutsche Syntax ist so flexibel und bietet so viele Möglichkeiten mehr als manch andere Sprache, dass der Übersetzer überlegen muss, ob er die deutschen Varianten, die die Fremdsprache ihm gibt, nutzt oder nicht. Wer z.B. aus skandinavischen Sprachen übersetzt, hat ein Wort für "Kopf", nicht "Haupt". Man orientiert sich dann am Gesamttext, am Kontext. Was sind die richtigen Wörter, ist die richtige Syntax? Bei der Grammatik hat man es schon leichter, aber nicht immer; Beispiel: Konjunktiv.

Das Schöne in der Literatur ist, dass man alles darf. Erst einmal dürfen die Autoren alles. Die Übersetzer dürfen auch alles, müssen aber sagen können, warum. Bei der Übersetzung von Céline, der in "Voyage au bout de la nuit" die französischen Konjunktive richtig verwendet und die indirekte Rede korrekt schreibt, muss der Übersetzer überlegen, ob er den Erzähler im Konjunktiv 1 oder 2 oder im Indikativ sprechen lässt. Beim Transport dieses unglaublich gesprochen-sprachlichen, an Affekten reichen Erzählertextes muss der Übersetzer eine Menge Einbußen hinnehmen. Er greift zu der Möglichkeit, im Deutschen in der indirekten Rede auf den Konjunktiv völlig zu verzichten und bis auf wenige Ausnahmen im Indikativ zu bleiben. Die entscheidende Frage dabei ist, ob die Textsorte, Redehaltung, Figur, Funktion im Text es erlauben, im Indikativ zu bleiben, oder ob es besser ist, doch einen Konjunktiv zu nehmen.

Fragen, die der Übersetzer sich immer wieder stellen muss und die das Original nicht grammatikalisch beantwortet: Was für einen Text hat der Übersetzer zu schreiben? Wie muss der Übersetzer mit den Möglichkeiten seiner Sprache umgehen, die die Ausgangssprache ihm gar nicht anbietet? Am Beispiel des ersten Satzes aus Camus' "L'Étranger" (Hier matin maman est morte.) stellt sich die Frage: Wie soll man "maman" übersetzen? Warum hat Camus ihn so geschrieben, wie er ihn geschrieben hat? Schon solch ein kleiner Satz zeigt, dass es verschiedene Möglichkeiten der richtigen Übersetzung gibt. Aber welches ist die literarische, die der Gesamtheit des Ausgangstextes und dieser Textstelle am meisten entspricht? Das ist die entscheidende Frage.

Literatur wird zu Literatur erst durch ein großes Konglomerat an weichen Faktoren: Klang und Rhythmus, Brillanz, Humor, Ironie, Wortspiele, Slang, Ideolekte, Soziolekte etc. All diese Kriterien müssen möglichst adäquat transportiert werden.

Was ist adäquat?

Es gibt zwei Hauptrichtungen.

Schleiermachers Irrtum war anzunehmen, dass Gedanke und Ausdruck dasselbe seien. Als Übersetzungstheoretiker und -praktiker war er der Meinung, man müsse den Leser zum Fremden bringen; das Fremde soll bleiben dürfen. Aus dieser Schule stammt auch die Maxime: So treu wie möglich, so frei wie nötig. Frei übersetzen ist gefährlich, schon fast falsch. Auch Walter Benjamin hat das Fremde hochgehalten und Übersetzungen geschrieben, die ähnlich unlesbar sind wie Schleiermachers.

Ein kleines gelungenes Gegenbeispiel ist die Übernahme des Wortes "zornwütig" bei Pippi Langstrumpf.

Die andere Schule will das Fremde zum Leser transportieren, es nicht mehr fremd erscheinen, den Leser gar nicht merken lassen, dass es etwas Fremdes ist. Eine Standard-, als Lob gemeinte Worthülse der Literaturkritik lautet: Man merkt gar nicht, dass es ein übersetztes Buch ist.

Das Hauptziel beim Übersetzen und der Übersetzer heute ist die Wirkungsäquivalenz. Das bedeutet, nicht nur das richtige Wort zu wählen, sondern schauen, dass Worte, Sätze, Gesamttexte auf den Leser der Übersetzung dieselbe Wirkung haben wie auf den Leser des Originals. Das wird nie 100% aufgehen, weil die Leser von "Voyage au bout de la nuit" z.B. unterschiedliche Lesarten haben, die man nicht 100% auf die Leser der deutschen Übersetzung übertragen kann. Aber das theoretische Ziel ist immer da.

Eine Besonderheit der Theaterrezeption ist, dass bestimmte Wirkungen und Interaktionen, die man sich im Text beim Leser als etwas Besonderes vorstellt, auf der Bühne unbeachtet vorbeilaufen.

Es ist notwendig, sich beim Literaturübersetzen vom Originaltext zu lösen, auch wenn es schwer fällt. Denn man muss etwas kaputtmachen, um es im Deutschen neu zu bauen. Wichtig ist, sich vom Liebgewordenen, Selbstverständlichen in der Ausgangssprache zu lösen, weil sie einem nahe ist und weil Sprache etwas Flexibles ist, sich vom Originaltext zu lösen und möglichst wenig Interferenzen, d.h. Mängel, die eine zweite Sprache durch den Kontakt mit einer ersten Sprache erleidet, zuzulassen.

Die Sprachkontaktforschung untersucht Interferenzen. Phonetische Interferenzen sind nicht gefährlich. Aber in allen, auch in den besten Übersetzungen wird es immer wieder lexikalische Interferenzen geben. Im Deutschen ist es inzwischen üblich, literarische Figuren oder Filmfiguren als Charaktere (engl. characters) zu benennen. Der Einfluss des Englischen macht sich bemerkbar.

Der Vortrag wird in Deutsch gehalten. (eigentlich "auf Deutsch")

Berlin ist der schönste Platz in Deutschland. (eigentlich "Ort")

Beispiele aus dem Französischen:

discret - nicht nur "diskret", auch "verstohlen"

doux - "sanft, süß", aber auch "mild, leise"

bruit - "Geräusch, Lärm", aber auch "Rauschen, Rieseln, Flüstern, Zwitschern, Zirpen, Sirren..."

sans doute - "zweifellos", aber auch "sicher, doch wohl"

Grammatikalische Interferenzen sind zum Teil noch schwerer zu vermeiden. Ein falsches Wort fällt einem eher auf als eine falsche Konstruktion.

Typische Beispiele: "Er fasste mit seiner Hand (statt "mit der Hand") in das Regal."

(with his hand/avec sa main)

Gut übersetzt wäre: Er fasste ins Regal.

Est-ce qu'il aime des enfants?

"Mag er die Kinder?" statt "Mag er Kinder?"

Anfang des 20. Jahrhunderts hat in der Literatur das passé composé angefangen, das passé simple zu verdrängen. Im Deutschen verwendet man das Perfekt statt des Imperfekts im gesprochenen Text, aber nicht im Erzählertext.

Bei all diesen Interferenzfragen entscheidet der Übersetzer.

Kleine Berufskunde

Schmidt-Henkel fordert die Studenten auf, sich auszuprobieren. Er rät, einen Text zu nehmen, der sie fasziniert, und ihn zu übersetzen, ihn dann anderen zu zeigen, um zu sehen, ob das literarische Übersetzen einem liegt. Denn zwei Pflichten sind letztendlich zu erfüllen:

1. die Pflicht gegenüber dem Text;

2. beim gewerbsmäßigen Übersetzen (sei es auch nur einmal oder nebenberuflich) die Pflicht zur Professionalität - nicht nur bei Wortwahl und Satzbau etc., sondern auch beim Umgang mit außertextlichen Gegebenheiten dieses Berufs.

Das gilt u.a. für die Vertragsgestaltung. Man sollte keine Übersetzung machen, ohne einen Vertrag zu machen. Das schadet dem Verlag, dem Übersetzer und der Zunft. Die Arbeit muss nach ihrem Wert bezahlt werden. Das neue Urheberrechtsgesetz besagt, dass Übersetzungen angemessen bezahlt werden müssen. Der Streit um die Frage der Angemessenheit ist allerdings noch nicht zu Ende.

Unter www.literaturuebersetzer.de findet man ein Übersetzerverzeichnis, geordnet nach Sprachen, Sachgebieten, Autoren. Schmidt-Henkel empfiehlt, andere Übersetzer anzurufen, wenn man Fragen hat.

Bei literarischen Übersetzungen wird nach Normseiten bezahlt (30 Zeilen à 60 Anschläge). Bei Fachübersetzungen sind es oftmals 55 Anschläge.

Achtung ist geboten beim Vertragsabschluss, wenn ein €-Preis für 1800 Zeichen angegeben ist. Denn der Raum (60x30) ist ein virtueller Raum. 60x30 bedeuten oft keine 1800 Zeichen, denn ein lebendiger Text hat auch mal eine halbe Zeile, eine Leerzeile, einen Absatz, ein neues Kapitel, und die Übersetzung hat dem Original in Zeilenfall und Layout zu folgen.

Zum Urheberrecht

Das Urheberrecht sieht die literarische Übersetzung als geistiges Eigentum und als schutzwürdig an - wie original Geschriftstellertes. Das hat sich allerdings noch nicht überall im Vertragsrecht durchgesetzt. Die VG Wort in München schüttet an Übersetzer und Autoren die gleiche Beteiligung aus.

Bis vor ca. 20 Jahren gab es in Übersetzungsverträgen nur ein Pauschalhonorar pro Seite. Pauschal, das heißt: ein für allemal abgegolten. Das widerspricht dem Geist des Urheberrechts, denn auch eine literarische Übersetzung ist geistiges Eigentum, d.h. unveräußerlich. Man tritt lediglich sogenannte Nutzungsrechte an den Verlag, nicht aber den Text ab. Beim Werkvertrag (Schweiz) ist das anders.

Bis vor etwa 20 Jahren galten Übersetzungsverträge nur für das Hauptrecht, d.h. die im Vertrag festgehaltene erste Veröffentlichungsart (z.B. Hardcover oder Taschenbuch). Wenn dann der Verlag ein Taschenbuch aus dem Hardcover machte, hätte eigentlich nachhonoriert werden müssen.

Der Übersetzerverband forderte, dass das, was mit dem geistigen Eigentum des Übersetzers von den Verlagen erwirtschaftet wird, den Übersetzern auch zum Teil zugute kommen muss. Es sind Vertragsnormempfehlungen zwischen dem Übersetzerverband und dem Börsenverein erarbeitet worden. Danach sind ein Seitenhonorar und ein Anteil am Verlagsanteil bei Nebenrechtsverwertungen zu zahlen. Durch geduldiges Lobbyieren hat der Übersetzerverband erreicht, dass die Nutzung von Nebenrechten zumindest potentiell gelingt.

Was heißt das? Der Verlag verkauft z.B. die Rechte an einem Buch an einen Taschenbuchverlag und bekommt dafür Lizenzgebühren. Davon bekommen er, der Autor bzw. Originalverlag und der Übersetzer etwas. In den Verträgen ist das Kleingedruckte zu beachten. Oft ist nur die Nutzung von Taschenbuch- oder Buchclubausgaben gemeint, nicht aber Hörbuch, Dramatisierung, Verfilmung, elektronische Medien etc.

Es gibt nach wie vor Bücher, die sich sehr gut verkaufen. Es entsteht dann ein Missverhältnis zwischen dem Gewinn des Verlages und dem Pauschalhonorar. Deshalb sollte ein Anteil am Verkaufserfolg unbedingt in den Vertrag aufgenommen werden, ab 10000 Exemplare z.B. 1% vom Nettoladenpreis (Ladenpreis - MwSt). Achtung bei 1% vom Nettoverlagserlös! Das würde bedeuten: Nettoladenpreis - 40% Buchhändlerrabatt - 20% Vertreterrabatt - Verlagskosten.

Das neue EU-Urheberrecht, das seit Juli 2001 gilt, sieht vor, dass sowohl Pauschalhonorar als auch Nebenrechtsbeteiligung sowie Beteiligung am Verkaufserfolg gewährt werden. Von der Umsetzung dieses neuen Urheberrechts ist man aber noch weit entfernt. Es wird noch einige Jahre dauern, bis vielleicht mehr Leute überhaupt und besser von dieser hochkomplizierten, hochkomplexen und wunderbaren Arbeit leben können.

Praktische Hinweise aus der Diskussion

Vertragsverhandlungen

Weil viele Übersetzer sich durch Vertragsverhandlungen überfordert fühlen, gibt es jetzt erstmalig eine Agentur für Literaturübersetzer, die von zwei Literaturübersetzern gegründet worden ist. Dort können sich Übersetzer unter Vertrag nehmen lassen.

Schmidt-Henkel empfiehlt, das Vertragsaushandeln zu trainieren. Der Übersetzerverband bietet Professionalisierungsseminare zum Thema "Entspannt und sachgerecht verhandeln" an. Die Professionalisierung ist ein wichtiges Angebot von Verbänden, nicht nur in Bezug auf die Textarbeit, sondern auch auf notwendige kaufmännische Dinge. Man kann Techniken erlernen, die ermöglichen, Dinge, die man weiß, leichter zu transportieren, z.b. die Vorbereitung auf bestimmte Telefonate.

Es herrscht grundsätzlich Vertragsfreiheit. Übersetzer sind nicht tariffähig, d.h. der Übersetzerverband kann mit dem Börsenverein keinen Vertrag aushandeln. Mit diesem Argument wehrt sich der Börsenverein gegen gemeinsame Vergütungsregeln gemäß dem neuen Urheberrecht.

Die Verlage haben sogenannte Hausverträge, die nichts über Nutzungsrechte sagen. Hausverträge können aber an neue Regelungen angepasst werden, z.B. mit einer Formulierung wie "Nach Vorliegen einer neuen Vergütungsregelung...".

Das Durchschnittshonorar pro Seite beträgt zwischen weniger als 20 DM (z.B. Trivialtexte aus dem Englischen für einen Taschenbuchverlag) bis 40 DM (bei anspruchsvoller Literatur). Bei Verhandlungen sollte man wissen, was man sich leisten kann und was nicht, ob man es sich leisten kann, einen Auftrag abzulehnen. Es gibt mitunter gute Honorare für schlechte Bücher.

Einflussnahme auf den Übersetzungsprozess

Generell gibt es keine Einflussnahme auf den Übersetzungsprozess seitens der Verlage. Das richtet sich nach dem Genre des Originals. Die Lektoren stehen unter einem großen Zeit- und finanziellen Druck. Bei der Zusammenarbeit mit einem guten Lektor geht die Verständigung schnell. Bei Anfängern sind Textproben usus.

Der Idealfall wäre, dass die Vertragsvergabe auch eine künstlerische Besetzungsentscheidung ist, d.h. der Lektor kennt eine Reihe von Übersetzern und weiß, welche Stilvarianten, Textarten, welches Temperament sie haben und mit wem der Text am besten zu machen ist. Das gibt es zwar noch, wird aber immer seltener.

Wortwahl und stilistische Orientierung haben sehr stark mit dem Ausgangstext zu tun. Da gibt es durchaus Einflussnahmen, d.h. Mainstreamliteratur wird auch sprachlich im Mainstream gehalten. Da gibt es dann schlechtes Übersetzerdeutsch. Aber auch Leser von Kioskliteratur verdienen, sie gut übersetzt lesen zu dürfen! Krimis - meist niedrigpreisige Taschenbuchausgaben - sind meist miserabel übersetzt. Das ist eine Frage der Wertschätzung im Verlag, der Qualität von Verlagsmitarbeitern und der Qualität von Übersetzern. Schmidt-Henkel ist überzeugt, dass eine gute Übersetzung auch demjenigen, der nichts von Übersetzung versteht, besser gefällt als eine, in der es ständig Hürden gibt.

Die Bestimmung des Titels, die Festlegung der Ausstattung und des Ladenpreises obliegen dem Verlag. Die Übersetzer werden oft - zu Unrecht - für schlechte Titel gescholten.

Vom Lektor zum Buchmanager

Der Beruf des Lektors ist eine aussterbende Spezies. Ob Verlagslektoren sich nur mit deutscher Originalliteratur oder auch oder nur mit übersetzter Literatur befassen, ist eine Frage der Arbeitsteilung im Verlag. Immer weniger Lektoren müssen immer mehr Bücher betreuen. Die Produktionsgeschwindigkeit ist enorm. Die Lektoren stehen unter einem enormen finanziellen Druck. Die entscheidende Frage heute ist: Wie trägt sich der Einzeltitel? Die Qualitätsmaßstäbe in den Verlagen sinken deutlich, in Publikumsverlagen noch stärker als in spezifischen Literaturverlagen, in Verlagen mit Gebrauchsliteratur noch stärker als in Publikumsverlagen. Deshalb werden Lektoren immer mehr zu Buchmanagern, die immer weniger Aufmerksamkeit auf Textarbeit verwenden bzw. verwenden können.

Die Zusammenarbeit mit den Verlagslektoren ist von Verlag zu Verlag, von Lektor zu Lektor, von Übersetzer zu Übersetzer unterschiedlich. Eine gute Zusammenarbeit sieht kommunikativ aus, und eine gute Redaktion ist viel mehr als eine Fehlersuche, sie bedeutet, einen Text auf seine Besonderheiten zu erkennen und zu sehen, wie sie in der Übersetzung herauskommen. Der Übersetzer ist verpflichtet, berechtigte Änderungswünsche und Korrekturvorschläge des Verlages zu berücksichtigen.

Termine, die man einhalten muss, werden vertraglich festgehalten. Dahinter stehen Publikationsfristen des Verlages (laut Lizenzvertrag z.B.), Druckerei - und Herstellungstermine, Termine mit Illustratoren, Werbetermine etc. Zur Professionalität gehört zu wissen, wieviel man leisten kann bzw. muss oder will. Die Arbeitstechniken und Arbeitsgeschwindigkeiten sind sehr unterschiedlich. Manche Übersetzer machen sehr originalnahe, fast Interlinearfassungen. Bei anderen muss ein Satz erst stehen, bevor sie zum nächsten gehen.

Kontaktaufnahme zu den Autoren

Übersetzen ist ein einsamer Beruf. Nicht jede Übersetzung erfordert Kontaktaufnahme. Es gibt die Kontaktaufnahme zum Lektor im Originalverlag, und schon aus Höflichkeit sollte man sich dem lebenden Autor als Übersetzer vorstellen. Das kann sehr hilfreich sein, wird aber von den Übersetzern ganz unterschiedlich gehandhabt.

Chancen für Newcomer?

Es gibt gute Chancen für Newcomer. Qualität setzt sich durch - auch in diesem Beruf.

Als erste Schritte empfiehlt Schmidt-Henkel, sich auszuprobieren, sich selbst sehr kritisch zu betrachten, sich Kritik zu holen, z.B. im Freundeskreis, bevor man an die professionelle Öffentlichkeit geht, sich dann erst auf verschiedene Weise an Verlage zu wenden.

Beim Buchhändler seines Vertrauens sollte man sich in den Verlagsvorschauen (enthalten Telefonnummern) ansehen, welcher Verlag welche Literatur veröffentlicht, sich dann die Frage stellen, was man sich zutraut, wofür man eine Affinität fühlt.

Danach sollte man ein Anschreiben verfassen, in dem man sich dem Verlag vorstellt, und eine Arbeitsprobe beifügen (5 Seiten aus dem Original...). Bei Absagen nicht entmutigen lassen! Wichtig ist, dass die Übersetzungsprobe bei etlichen Lektoren auf dem Schreibtisch liegt. Bei denen, die man angeschrieben hat, sollte man sich zusätzlich auf Buchmessen vorstellen


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Zuletzt geändert:

17-02-2010, 11:16