Der französische Comiczeichner Achdé bringt einen neuen Lucky-Luke-Band auf den Markt.
Quelle: http://www.lucky-luke.de/e4/e968/index_ger.html
Wenn Sie sich an Ihren Einstieg in dieses "Comic-Geschäft" erinnern. Wer oder was hat Sie damals motiviert oder inspiriert?
Morris: Na ja, als ich in einem kleinen Studio für Zeichentrickfilme anfing, machte dieses Unternehmen auch gleich nach dem Krieg pleite. Dort waren auch Peyo, der Autor der Schlümpfe und Franquin, der Autor von Gaston, angestellt. Daher waren wir sehr stark motiviert, etwas Neues zu finden; wir standen ja schließlich vor der Türe. Wir haben uns daher kurzfristig entschieden, Comics zu machen, weil wir damals der Ansicht waren, dies sei eine Kunst, die sehr nahe am Zeichentrick angelehnt sei – was überhaupt nicht stimmt. Aber irgendwie hatten wir anscheinend doch Recht, denn wir waren alle drei recht erfolgreich.
Haben Sie Lucky Luke eigentlich alleine erfunden oder ist er im Team entstanden?
Morris: Nein, ich habe ganz allein gearbeitet und entwickelt. Der Name Lucky Luke stammt allerdings von meinem Bruder, dem Literaten der Familie. Er hat auch Jolly Jumper seinen Namen gegeben. Wir mussten ja eine Alliteration finden, d.h. zwei Namen, die mit demselben Buchstaben anfingen. Genau wie Micky Maus oder Donald Duck. Aber die eigentliche Figur Lucky Luke, auch was das grafische Element betrifft, habe ich ganz allein erfunden. Er hat sich ja auch ganz schön verändert seit seiner "Geburt". Das ist aber ganz normal. Man braucht eine gewisse Periode, bis man seinen Charakter endgültig ausgearbeitet hat.
Und wann kamen die anderen Figuren wie beispielsweise die Daltons oder Rantanplan dazu?
Morris: Tja, die Daltons haben ja tatsächlich existiert, wie Sie sicher wissen. Ich glaube, seit dem 10. Album habe ich sie mehr oder weniger regelmäßig eingesetzt. Ich hatte mal einen Film gesehen, der von diesen vier schweren Jungs handelte. Und ich fand diese Familie eigentlich sehr amüsant, so miteinander vereint zu einem schlechten Zweck. Es hatte einen gewissen komischen Aspekt. Und in der Zwischenzeit mag ich diese vier Daltons am liebsten. Sie haben die interessantesten Eigenschaften. Denn meinen Lucky Luke musste ich ja nach eindringlichen Anweisungen meines früheren Verlegers Dupuis als einen niemals versagenden Helden, als leuchtendes und vor allem unfehlbares Beispiel darstellen. Doch leider wird ein allzu perfekter Held sehr schnell langweilig. Und schon allein daher macht es mir viel mehr Spaß, die Daltons auftreten zu lassen.
René Goscinny hat viele Ihrer Drehbücher geschrieben. Wie lief diese Zusammenarbeit ab?
Morris: Oh ja, die Zusammenarbeit mit René war wirklich sehr angenehm. Er war ungeheuer amüsant und sehr intelligent. Er verstand auch sofort die ganz bestimmten Charakteristika der Lucky Luke-Figuren. Das Tollste war vielleicht, dass er beim Schreiben seines Textes ganz genau wusste, wie ich dies zeichnen würde. Und als ich seine Texte las, habe ich sofort gewusst, was er damit sagen wollte, habe den Sinn dahinter gesehen und wusste, wie ich dieses zeichnen sollte. Als er starb, hat mir jeder gesagt, „Du wirst nie wieder einen Drehbuch-Autoren wie ihn finden“. Es hat sich – Gott sei Dank – nicht bewahrheitet. Vielleicht ist doch kein Mensch wirklich unersetzbar. Genauso wenig wie ich selbst.
Von den ersten Anfängen bis heute hat sich ihr Cowboy ganz schön verändert. Meinen Sie, Sie hätten sich qualitativ verbessert, oder nur einfach verändert?
Morris: Das ist richtig, man kann eine eindeutige Entwicklung der Figur beobachten. Aber wenn Sie genau hinsehen, bezieht sich das höchstens auf die ersten paar Jahre, vielleicht fünf Jahre insgesamt. Ich glaube, es geht da allen Comic-Figuren ziemlich ähnlich. Man braucht eine gewisse Zeit, bis man seine Figur endgültig "modelliert" hat. Ich habe später versucht, meinen Helden ein wenig witziger, amüsanter zu machen. Aber es ist problematisch, einen Helden zu ändern. Nachdem mein erster Verleger, Dupuis mir zu Anfang eingeschärft hatte, dass der Held vor allem ein perfektes Idol sein muss, hatte ich natürlich meine Schwierigkeiten, ihn grundlegend zu ändern. Das bedaure ich ein wenig, dass ich dies versäumt habe. Ich würde mir wünschen, dass meine Figuren insgesamt viel humorvoller agieren würden. Jetzt ist es einfach zu spät dazu.
Viele Lucky Luke-Abenteuer spielen ja mit historischen Details. Woher wissen Sie so viel über den Wilden Westen? Waren Sie selbst dort oder haben Sie Karl May gelesen?
Morris: Oh ja, selbstverständlich habe ich Karl May gelesen, als ich noch ein kleiner Junge war. Aber daher habe ich meine Western-Dokumentationen nicht. Es ist wirklich wahr, dass es zu Beginn meiner Karriere außergewöhnlich schwierig war, sich fundierte Dokumentationen über den Wilden Westen zu beschaffen. Heute ist das ja ein Kinderspiel, aber damals… Ich musste auf alle möglichen Tricks zurückgreifen. Mein beliebtestes Material waren Filmfotos. Und die musste ich meistens aus den Schaukästen vor den Kinos stehlen, denn ich konnte sie nicht auf normalem Wege erwerben. Einer stand dann immer Schmiere – meistens Franquin – und ich habe mir Fotos gemopst, die ich unbedingt brauchte. Wenn ich daran denke, was es heute alles für Bücher, Filmbände und vieles mehr über die Schauplätze, die berühmten Personen etc. gibt! Aber schließlich war ich ja nicht umsonst 6 Jahre in den USA, um die Orte meiner Taten zu studieren. Das erste Mal war ich 1948 dort. Nicht nur, um die grandiosen Landschaften zu betrachten, sondern auch um zu sehen, wie man Comics macht. Und ich muss sagen, ich habe dort ungeheuer viel gelernt. Ich habe oft gesagt, dass der Name meines Cowboys mir wirklich immer Glück gebracht hat. Ein solcher Glücksfall war es sicher auch, dass ich in den USA die Redaktion des MAD-Magazins kennen gelernt habe: Harry Kurzmann, Jack Devis und alle anderen. Die haben mich gewaltig beeindruckt, und ich blieb ihnen auch freundschaftlich sehr verbunden. Ich war ja auch bei der Geburtsstunde dieses Magazins dabei. Und dabei entstand aus meinem Lucky Luke eine wirkliche Parodie auf die Westernfilme. Genau wie in MAD, das anfangs eine Sammlung von Parodien auf die üblichen Detektiv-Stories, auf Science-Fiction-Romane, etc. war. Das hat mich einfach beeindruckt.
Lucky Luke ist eine Parodie auf den Wilden Westen schlechthin. Weshalb glauben Sie, hat sich Ihre Serie in den USA nie durchsetzen können?
Morris: Das bleibt bis heute ungeklärt. Man hat es ja schon mit vielen berühmten Comics probiert, auch mit Asterix oder Tim und Struppi. Aber immer ohne großen Erfolg. Einer der Gründe mag sicher sein, dass die Amerikaner sich auf diesem Gebiet einfach allen anderen weit überlegen fühlen. Sie glauben einfach, dieses Genre erfunden zu haben und damit besser zu machen als andere. Und dann spielt natürlich auch ein gewisser Protektionismus mit. Sie schützen ihre "einheimische" Produktion. Die amerikanischen Verleger haben ein sehr scharfes Auge darauf, keine europäischen Comics ins Land zu lassen. Natürlich haben wir dort ein paar Hunderttausend Alben verkauft, aber angesichts der Bevölkerung ist das ein Pappenstiel. Aber noch ist nicht aller Tage Abend. Was nicht ist, kann ja noch werden!
In wie vielen Ländern erscheint Lucky Luke und in wie viele Sprachen ist er übersetzt?
Morris: Es sind mindestens 25 Sprachen und bestimmt über 30 Länder, in denen Lucky Luke publiziert wird. So genau kann man das nie sagen, es ändert sich ja auch immer etwas. Dann gibt es noch die Länder, in denen Plagiate erscheinen, von denen wir zunächst nichts wissen. Manche Länder, wie z.B. die Türkei sind dafür berühmt berüchtigt. Ansonsten sind das meist Länder, die nicht der Berner Konvention angehören. Sie denken einfach, Geld für Autorenrechte auszugeben, ist das Geld zum Fenster hinausgeworfen…
Wie hoch ist die weltweite Auflage von Lucky Luke?
Morris: Ja, vor drei Jahren haben wir mal eine genaue Statistik erarbeitet und ausgerechnet, wie viele Alben wir inzwischen weltweit, alle Übersetzungen eingeschlossen, seit Anfang an verkauft haben: Wir sind auf die ganz beträchtliche Zahl von ca. 250 Millionen Alben gekommen. Und das ist für mich die wirkliche "Entlohnung". Nicht das Autorenhonorar, sondern das Wissen, dass so viele Menschen, jung und alt, arm und reich, mit meinen Figuren vertraut sind. Das ist für mich der schönste Teil meines Lebens und meiner Arbeit.
Wie gehen Sie vor, um eine neue Idee für Lucky Luke "einzukreisen"?
Morris: Tja, wenn ein neues Album entsteht… Also die Grundidee kommt doch meistens von mir. Oft entspringt sie aus meiner großen Dokumentation, die ich habe. Ich schlage sie dann dem Drehbuchautor vor, und wir unterhalten uns recht ausführlich darüber, ob diese Idee so viel hergibt, dass man daraus eine 44-seitige Geschichte machen kann. Vor allem eine lustige Geschichte, das ist ja schließlich das Ziel. Wenn wir uns darüber einig geworden sind, macht der Drehbuch-Autor eine Synopsis. Und wenn wir auch hier einig sind, dann entsteht das Drehbuch Seite für Seite, genau wie für einen Kinofilm. Links steht die Beschreibung oder der Ablauf der Handlung, rechts stehen die Dialoge. Das Wichtigste bleibt allerdings das Basis-Thema das es auszufüllen gilt. Ich verlege mich jetzt mehr und mehr auf historische Details, bzw. Personen wie Roy Bean, Billy the Kid, Calamity Jane. Denn meine Leser haben mir in unzähligen Reaktionen gezeigt, dass solche Geschichten, die auf "wahren Begebenheiten" beruhen, sehr beliebt sind. Sie haben dadurch ein klein wenig den Eindruck, eine tatsächliche Geschichte zu lesen. Wobei ich natürlich gleich darauf verweisen muss, dass ich all diese historischen Fakten sehr frei interpretiere.
Wie funktioniert überhaupt der technische Ablauf, wenn ein solches Album entsteht? Was kommt zuerst, wie geht es weiter?
Morris: Aller Anfang ist das Drehbuch, das heute bis ins kleinste Detail ausgearbeitet wird, bevor man mit den Zeichnungen anfängt. Früher waren wir da sehr viel lässiger. Manchmal habe ich ganz ohne Drehbuch gearbeitet, von einer Woche zur anderen. Und dabei musste ich natürlich manchmal ganz schön improvisieren, und das geht nicht immer gut. Da passierte es schon ab und zu, dass wir unseren Helden in eine derart schwierige Situation manövrierten, dass wir ihn da beinahe nicht mehr rausgekriegt hätten. Doch das sind längst vergangene Zeiten. Heute bereiten wir uns ganz akribisch auf ein Album vor, wie gesagt, mittels eines detaillierten Drehbuchs, bei dem links die Handlung für jede Seite beschrieben wird und rechts davon die Dialoge stehen. Denn schließlich sollte ja alles stimmen: Die Einleitung, der Bogen der Handlung – ohne dass es zu Längen kommt – bis hin zum großen Finale, das auch nicht über Gebühr in die Länge gezogen werden darf.
02-12-2009, 04:05
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